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Standardvorgehen bei akuten Wohnungsöffnungen
Mit diesem Beitrag möchte ich euch ein geregeltes Vorgehen bei „Türöffnungen“ näher bringen. Hierzu gibt es den Begriff der Standardeinsatzregel.
Definition:
Standard-Einsatz-Regeln (SER) sollen eine einheitliche Aus- und Fortbildung und darauf basierend eine einheitliche Vorgehensweise bei Einsätzen ermöglichen. Dies ist besonders dann von Bedeutung, wenn die eingesetzten Einheiten aus ständig wechselndem Personal mit ständig wechselnden Führungskräften bestehen und im Einsatzfall in Abhängigkeit von Einsatzort und Verfügbarkeit in unterschiedlicher Zusammensetzung an einer Einsatzstelle gemeinsam tätig werden müssen. Hier ist es von unschätzbarem Vorteil, wenn die Vorgehensweisen für Standardsituationen bereits im Vorfeld festgelegt sind und von allen Einsatzkräften beherrscht werden. Dies führt letztendlich zu einer Optimierung der Einsatzabläufe und schafft für die Einsatzkräfte eine nicht zu unterschätzende Handlungssicherheit.
Einsatzgrundlagen Alarmstichwort: THL P Eingeschlossen – Wohnung öffnen akut
Allgemeine Grundsätze
Persönliche Schutzausrüstung (PSA):
Alle Feuerwehrangehörigen tragen Helm mit Augen- und / oder Gesichtschutz, Feuerwehr-Handschuhe, Schutzanzugjacke und –hose, Stiefel.
Einsatz von mehreren Fahrzeugen / Einsatzleitung
Der Einheitsführer des erst eintreffenden Fahrzeuges ist Einsatzleiter bis zum Eintreffen des Kommandanten oder stellvertretenden Kommandanten.
Sind Fahrzeuge nicht mit einer Gruppe besetzt, sollen sie an der Einsatzstelle schnellstmöglich durch Besatzung nachfolgender Fahrzeuge aufgestockt werden.
Spezielle Grundsätze
Türöffnungen werden von der Feuerwehr Kersbach durchgeführt, um die notwendige Behandlung eines hilfsbedürftigen Menschen durch den Rettungsdienst zu ermöglichen oder im Rahmen der eigentlichen Feuerwehraufgaben zur Abwendung von Gefahren durch Feuer, Wasser o.Ä..
Der Einsatzleiter prüft dabei, ob eine konkrete Gefahr vorliegt oder zumindest angenommen werden muss.
Bei Amtshilfeersuchen durch die Polizei (o.a. Behörden) ist durch den Einsatzleiter aufgrund der vorliegenden Angaben bezüglich Gefahrensituation, zeitlicher Dringlichkeit und Eigengefährdung zu entscheiden, ob Amtshilfe geleistet wird. Ggf. kann auch eine Überlassung des TÖ-Werkzeugsatzes mit einer entsprechenden Unterweisung erfolgen.
Wir sind kein Schlüsseldienst für Privatpersonen! Ein privates Nutzen des Werkzeuges ist nur in Rücksprache mit der Kommandantur möglich.
Es wird unterschieden in:
Konkrete Gefahr
Alarmstichwort „Türöffnung akut“; Alarmstufe: Priorität 1; Anfahrt erfolgt i.d.R. mit Sondersignal
Vermutete Gefahr
Alarmstichwort: „Türöffnung ohne Eile“; Alarmstufe: Priorität 3; Anfahrt erfolgt i.d.R. ohne Sondersignal.
Türöffnungen werden nicht alleine durchgeführt, sondern immer nur unter Zeugen aus den eigenen Reihen oder der Polizei.
Der Einheitsführer des erst eintreffenden Fahrzeugs mit Türöffnungswerkzeug ist für den Bereich Türöffnung zuständig.
Die Einsatzfahrzeuge die nicht über Türöffnungswerkzeug verfügen, übernehmen Unterstützungsaufgaben soweit möglich, bzw. in Absprache mit dem Einsatzleiter.
Ist die Tür geöffnet, vermeiden wir das Betreten der Wohnung und überlassen das der Polizei und dem Rettungsdienst, falls diese bereits vor Ort sind.
Die Wohnung darf nur von berechtigten Personen betreten werden. Polizei und Rettungsdienst sind berechtigt; Angehörige und Bewohner nur nach Ausweisvorlage.
Wer in der Feuerwehr erlerntes Wissen für kriminelle Handlungen verwendet oder an Dritte für die Ausführung solcher Handlungen weitergibt, wird sofort aus der Feuerwehr entlassen und angezeigt.
Einsatzformen
Türöffnung durch alternativen Zugang:
Als alternativer Zugang kommen offene Fenster und Balkon-/Terrassentüren, sowie unverschlossene Nebeneingangstüren (Keller, Gebäuderückseite, Garagen) in Frage.
Türöffnung durch Zweitschlüssel:
Befragen der Nachbarn bezüglich eines Zweitschlüssels und kurze Suche in der näheren Umgebung der Tür (Pflanzentöpfe, Steine, Fußmatten, usw.).
Evtl. kann auch bei Verwandten, die nicht in unmittelbarer Nähe wohnen, ein Zweitschlüssel deponiert sein. Ob der Zeitverzug dafür in Kauf genommen werden kann, entscheidet der Einsatzleiter Feuerwehr in Absprache mit dem Rettungsdienst oder der Polizei.
Türöffnung unverriegelte Tür:
Zunächst Feststellung welche Ausführung des Türfalzes vorliegt:
Durch Drücken an der Unterseite des Türblattes mit Fuß oder Türschnellhebel (aktuell nicht vorhanden) wird der Türfalz soweit geweitet bis erkennbar ist ob ein Einfachfalz oder ein Doppelfalz vorliegt.
Bei Einfachfalz:
Einfachfalz-Fallendraht in den unteren Bereich der Tür in den Türfalz zwischen Türblatt und Türstock einführen. Draht leicht zu sich kippen bis Widerstand spürbar wird. Draht in Richtung Riegel ziehen (2 Finger breit über Schloss). Wenn Widerstand spürbar ist, siehe: Türöffnung verriegelte Tür
Wenn kein Widerstand spürbar, Draht weiter Richtung Falle ziehen (2 Fingerbreit über Knauf oder Griff). Bei Widerstand Draht nach vorne kippen, ca. 2 cm nach oben ziehen und Draht wieder zu sich kippen damit die Falle in den Schlosskasten gedrückt wird und somit die Tür sich öffnet. (hoher Übungsaufwand)
Tipp: Werkzeug und Türspalt mit Silikonspray benetzen.
Einfachfalz-Türfallengleiter (Blech) nach Breite des Türfalzes aussuchen und in den unteren Bereich der Tür in den Türfalz zwischen Türblatt und Türstock einführen. Blech in Richtung Riegel ziehen (2 Finger breit über Schloss). Wenn Widerstand spürbar ist, siehe: Türöffnung verriegelte Tür
Wenn kein Widerstand spürbar, Blech weiter Richtung Falle ziehen (2 Finger breit über Knauf oder Griff), damit die Falle in den Schlosskasten gedrückt wird und somit die Tür sich öffnet.
Tipp: Werkzeug und Türspalt mit Silikonspray benetzen.
Bei Doppelfalz:
Doppelfalz-Fallendraht in den unteren Bereich der Tür in den Türfalz zwischen Türblatt und Türstock mittels Weiten des Türspaltes einführen. Draht leicht zu sich kippen bis Widerstand spürbar wird. Draht in Richtung Riegel ziehen (2 Finger breit über Schloss) Wenn Widerstand spürbar ist, siehe: Türöffnung verriegelte Tür
Wenn kein Widerstand spürbar, Draht weiter Richtung Falle ziehen (2 Finger breit über Knauf oder Griff). Bei Widerstand Draht nach vorne kippen, ca. 2 cm nach oben ziehen und Draht wieder zu sich kippen, damit die Falle in den Schlosskasten gedrückt wird und somit die Tür sich öffnet. (hoher Übungsaufwand)
Tipp: Werkzeug und Türspalt mit Silikonspray benetzen.
Spiralöffner zirka auf Höhe der Falle (2 Finger breit über Knauf oder Griff) in den Türfalz eindrehen. Hierbei muss in der Regel die Türdichtung durchstochen werden. Der Draht ist hierzu an der Spitze angeschärft. Wenn der Draht die Falle erreicht hat, ggf. muss dazu der Winkel während des Eindrehens geändert werden, wird an der Tür gerüttelt um die Falle zu entlasten. Nun mit nur leichten Druck die Spirale weiter eindrehen. Zu starkes Verdrehen am Griff verbiegt die Spirale. Durch die Entlastung der Falle wird diese durch die Spirale in den Schlosskasten gedrückt und die Türe kann geöffnet werden. Sollte sich die Türe nicht öffnen lassen, so kann sich der Spiralöffner verkantet haben und es muss mit leichten Schlägen auf das Türblatt die Verkantung gelöst werden.
Keine direkte Möglichkeit der Festellung ob es sich um eine verriegelte Türe handelt.
Türöffnung verriegelte Tür:
Halligantool:
Wenn der Doppelzylinder weit über das Türblatt hinaus steht, ist das Halligantool die schnellste Variante. Gegebenenfalls kann der Türbeschlag noch entfernt werden um den Überstand zu erhöhen. Die Klaue des Halligantool ist von unten über den Doppelzylinder zu schieben. Mit seitlichem Druck den Doppelzylinder abbrechen/abscheren. Nach dem Entfernen des Doppelzylinders aus dem Schlosskasten kann die Tür mittels Bautenschlüssel geöffnet werden.
Achtung: Bei Halbzylindern nicht anwendbar!
Fräsen (bevorzugte Variante):
Ziel ist es durch Fräsen die Sperrstifte des Zylinders zu entfernen.
Die Fräse ist an der Bohrung mit Senkung am Zylinderkern anzusetzen.
Mit der Fräse wird nun ca. 1 cm tief in den Zylinderkern eingefräst und dann in Richtung Sperrstifte verfahren bis die Fräse ca. 3 mm in dem Profilzylinder ist.
Die Fräse wird nun aus dem Zylinderkern herausgefahren.
Die Reste der Sperrstifte sind nun zu entfernen, da sie die Fräse beschädigen können.
Dieser Ablauf wird wiederholt mit zunehmender Eindringtiefe bis keine Sperrstifte mehr vorhanden sind.
Mittels Schraubendreher (bei Bedarf mit Fräshilfsschlüssel und Ringschlüssel) kann die Tür nun geöffnet werden.
Ein besser produziertes Video mit sprachlicher Erklärung ist in Arbeit.
Ziehfix (Beschädigungsgrad höher):
Mittels Akkuschrauber, Zugschraubenhalter (Schraube nicht zu fest einspannen!) und der Vorbohrschraube (gelb oder türkis) wird ein Gewinde in die Bohrung mit Senkung vorgeschnitten (Schmierung nicht vergessen). Nach Entfernung der Vorbohrschraube (gelb oder türkis) wird der Ablauf mit der Zugschraube 2 (rot) wiederholt.
Vor dem Einschrauben der Zugschraube 2 (rot) ist eine Stützscheibe (dickere Unterlegscheibe) über die Schraube zu stecken.
Die Schraube wird nun bis auf zur roten Markierung in den Zylinderkern eingeschraubt (Schmierung nicht vergessen).
Danach wird die Zugglocke mit der Zylinderziehplatte an der Zugschraube angesetzt und handfest angezogen. Es ist auf eine gerade Ausrichtung von Glocke zu Zylinder zu achten, da sonst ein Abbrechen des Zylinders durch die Glocke verhindert wird.
Bricht der Doppelzylinder, so muss die zweite Zylinderhälfte mit Hilfe eines Schraubenziehers aus dem Schlosskasten gestoßen werden. Hierzu muss ggf. ein Hammer verwendet werden, da durch den Zug mittels der Zugglocke hohe Kräfte auf den Schlosskasten einwirken und diesen verbiegen können. Nach Entfernung der Schließnase via Spitzzange oder Pinzette, kann die Türe mit einem Bautenschlüssel aufgesperrt werden.
Tipp: Herausgebrochene Zylinderseite als Anhaltspunkt nehmen, wie weit der Bautenschlüssel eingeführt werden muss.
Bricht die Zugschraube, muss versucht werden eine neue Schraube darunter einzubringen oder mittels Halligantool der Zylinder abgebrochen werden.
Hier muss ggf. im Nachhinein auch ein neuer Schlosskasten eingebaut werden!
Abschließende Maßnahmen
Nach erfolgter Öffnung der Türe ist dafür zu sorgen, dass die Wohnung wieder verschlossen wird, z.B. durch Anbringen eines neuen Schließzylinders (beim TÖ- Werkzeugsatz dabei) oder andere technische Maßnahmen.
Da der Schutz privater Rechte und des Eigentums der Polizei obliegt, sind die Wohnungsschlüssel von der Polizei in Verwahrung zu nehmen, sofern keine direkten Angehörigen anwesend sind. Ist die Polizei nicht vor Ort, ist sie nachzufordern.
In Ausnahmefällen kann die Polizei die Schlüssel an Dritte (auch an die Feuerwehr) zur Verwahrung übergeben.
Checklisten
Checkliste Einheitsführer
Anfahrt:
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Entscheidung ob Sondersignal nötig;
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Gaswarngerät einsatzbereit machen und Übergabe an den AT;
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Erkunden:
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Absprache mit Rettungsdienst / Polizei;
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Befragung von Nachbarn (Zweitschlüssel?);
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Einsatzbefehl:
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Vorbereitung der TÖ;
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Erkundung Umfeld;
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Ggf. Unterstützung eingesetzter Trupps, je nach Lage;
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Durchführung TÖ:
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Entscheidung nach Ablaufschema (siehe Anhang);
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Rettung nach TÖ:
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Unterstützung des Rettungsdienstes, bzw. eigenständige Rettungsmaßnahmen;
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Abschließend:
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Einsatzdokumentation;
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Daten der beteiligten Personen (Geschädigte, Wohnungsbesitzer) bei Polizei erfragen;
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Verschließen der Wohnung in Absprache mit der Polizei;
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Checkliste Maschinist
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Absicherung durch Warnblinklicht, Fahrlicht, Blaulicht, ggf.Umfeldbeleuchtung;
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Ggf. Bedienung Aggregate und Ausleuchtung mittels Lichtmast;
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Unterstützung bei Entnahme und ggf. Bereitstellung von Geräten;
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Weitere Aufgaben nach Weisung des EF;
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Checkliste Melder
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Unterstützung des Einheitsführers, insb. bei der Erkundung;
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Einsatzdokumentation mittels Einsatzdokumentation Türöffnung;
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Weitere Aufgaben nach Weisung des EF;
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Checkliste Angriffstrupp
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Übernahme des Gaswarngerätes vom EF und ständige Messung an der Eingangstüre;
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Entnahme des TÖ-Werkzeugs vom Fahrzeug und Bereitlegen an der Eingangstüre: Rucksack TÖ, Akkuschrauber, zwei Handlampen;
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Erkundung des näheren Umfeldes (Zweitschlüssel);
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Durchführung der Türöffnung nach Weisung des EF;
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Nach Türöffnung: ggf. Messung mit dem Gaswarngerät in der Wohnung;
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Weitere Aufgaben nach Weisung des EF;
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Checkliste Wassertrupp
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Erkundung des weiteren Umfeldes und Meldung an den EF: Alternative Zugänge (Fenster, Balkon-/Terrassen-/Kellertüren, Garage);
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Gefahren;
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Sichern der Einsatzstelle gegen weitere Gefahren (auf Befehl);
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Weitere Aufgaben nach Weisung des EF;
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Ist der Schlauchtrupp nicht vorhanden, übernimmt dessen Aufgaben der Wassertrupp;
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Checkliste Schlauchtrupp
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Bereitstellen von Sanitätsgerät, falls Rettungsdienst noch nicht vor Ort: Verbandkasten oder -Rucksack und Decke
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Anlage von Infektionsschutzhandschuhen;
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Bereitstellen weiterer Geräte nach Weisung des Einheitsführers;
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Ggf. Durchführen der Erstversorgung bis zur Übergabe an den Rettungsdienst;
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Weitere Aufgaben nach Weisung des EF;
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Ist der Schlauchtrupp nicht vorhanden, übernimmt dessen Aufgaben der Wassertrupp;
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Ich weiß es ist mal wieder viel Text, aber Türöffnungen sind Einsätze, die durch die älter werdende Gesellschaft, in den nächsten Jahren zunehmen werden. Deshalb möchte ich euch auf diesem Wege eine Möglichkeit geben, euch weiterzubilden und hoffe einen gewissen Standard in diese Einsätze bringen zu können, um vorallem den Gruppenführer in der Erstphase des Einsatzes zu entlasten und auch um euch ein wenig der rechtlichen Seite aufzuzeigen. Im Anhang findet ihr noch die von mir ausgearbeitete Standardeinsatzregel Türöffnung, welche, sobald ohne großes Aufsehen möglich, beübt werden soll. Bei Fragen wendet euch bitte gerne an Carsten oder Johannes.
Links und Quellen
- https://ff-kersbach.de/wp-content/uploads/2022/01/Standardeinsatzregel-Tueroeffnung.pdf (SER TÖ – gültig für die FF Kersbach)
- Videomaterial freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Tobias Kornfeld (Leiter Türöffnungsgruppe FF Forchheim)
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Fachwissen Öffnungstechnik Volk Sicherheitstechnik